Samstag

Lügen lernen mit Thomas...


Drei Semester sind vorbei. Das ist offiziell die erste Hälfte des Studiums. Verrückt.
Es bleibt jedoch bei offiziell. Philosophy & Economics an der Uni Bayreuth beendet fast niemand unter sieben Semestern und auch bei mir werden es mit Ausland und Praktikum bestimmt sieben werden. Aber ganz langsam. Gerade sind schließlich Semesterferien und weil dieses Jahr alles irgendwie verdammt spät ist, dauern diese in Bayern sogar noch bis nach Ostern. Kommt mir aber ganz recht. Ich habe endlich eine Hausarbeit beendet. Das hat vor allem so lange gedauert, da ich die letzten zwei Wochen in England unterwegs war. Erst bin ich mit Sarah und Teresa, super coole Mädels, die ich während meines AuPair-Jahres kennengelernt habe, durch Liverpool und Manchester gestreunt. Danach ging es mit Therese nach London. Wir kennen uns erst seit dem Studium, trotzdem war uns aber irgendwie von Tag eins an klar, dass unsere Freundschaft etwas ganz Besonderes wird und sehr viel wert ist. Die Woche war ganz toll. Aber nicht nur für mich, sondern auch für diesen Blog. Therese liest, egal wie spät es ist, immer noch eine Viertelstunde vor dem Einschlafen und hat mich damit angesteckt. So hab ich auch "Thomas der Schwindler" in unserem AirBnb in London angefangen und beendet und will euch heute ein wenig über dieses ganz besondere Buch berichten. Ich habe freundlicherweise vom Manesse Verlag diese wunderschöne Ausgabe zugeschickt bekommen. Klein und kompakt, perfekt für die Tasche, aber trotzdem ein wunderschönes Hardcoverbuch, sogar mit Lesebändchen.

Auf den 192 Seiten (inklusive Nachwort der deutschen Literatur-Journalistin Iris Radisch) entdeckt man die fantastische Lügenwelt des Guillaume Thomas. Aber so will ich ihn gar nicht nennen. Die fantastische Lügenwelt des Thomas de Fontenoy. Denn obwohl das Buch schon fast 100 Jahre alt ist, war auch ich einfach nur fasziniert von dieser einzigartigen Geschichte mit so viel provokativer Kraft. 
Thomas ist fast so etwas wie ein bunter Kanarienvogel in diesem doch sonst so grauen Buch rund um den ersten Weltkrieg. Eigentlich ist er nichts Besonderes, doch er kann lügen. Lügen, so dass ihm die Leute glauben, und selbst wenn sie es nicht tun dann so, dass sie ihm glauben wollen. Wollen, das alles was er sagt, auch wirklich wahr ist.  Doch Thomas ist gar nicht der Erste, der im Buch erscheint. Es beginnt mit einem makaberen Bild, von adeligen und drogensüchtigen Ärzten, die sich im verlassenen und vom Krieg gezeichneten Paris langweilen. Sie beginnen Kranke zu pflegen, sich an ihren Wunden zu berauschen und sich danach ein wenig besser fühlen. Und obwohl eigentlich niemand ihn braucht und niemand ihn je um Hilfe gebeten hat, ist er auf einmal da. Thomas de Fontenoy. Nicht einfach Guillaume Thomas. Nein, es ist Thomas Fontenoy, Sohn des bekannten Generals Fontenoy, Soldat, unantastbar, beeindruckend und besonders. Aber erlogen.
Zwischen ihnen wirkt er fast wie ein Heiliger, der eigentlich noch viel zu jung ist für den Krieg, aber mit der falschen Uniform schnell zum Helden wird. Zusammen mit ihm gelingt jeder Krankentransport, denn vor seinem Namen haben alle Respekt, ganz neue Türen öffnen sich. 

Doch wie kann sich eine solche Lüge halten? Der Roman schafft es, dass man selber beginnt an Thomas Fontenoy zu glauben, man versteht warum die, die hinter die Lüge kommen, sie nicht lüften wollen, man ist fasziniert. Jean Cocteau schafft es, über die Lüge zu schreiben ohne zu werten. Schafft es, über die höchst brisante Zeit des Krieges zu schreiben, ohne politisch zu werden. Obwohl das Buch sogar weit vor der Geburt meiner Oma geschrieben wurde, so hat es nicht an Kraft verloren. Jean Cocteaus Schreibstil hat bis heute nichts an Modernität verloren, Krieg ist präsenter denn je, und auch mit Lügnern, die weiter kommen, als man es je erwartet hätte, kennen wir uns gut aus.

Das Buch ist eine Empfehlung für alle, die sich gerne mit aktuellem Geschehen beschäftigen, ohne es zu merken. Eine Empfehlung für alle, die bereit sind, um den Finger gewickelt zu werden. Für alle, die bereit sind, in Jean Cocteaus satirisches Paris des ersten Weltkriegs einzutauchen. Liebst, Meike

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